Leseprobe

Auszüge: "Die Wanderung"





Wir haben eine Idee

Dies ist die Geschichte von zwei Männern, die sich dazu entschlossen, gemeinsam eine Wanderung durch die Pyrenäen zu unternehmen. Die am Ende feststellten, dass gerade ihre Unerfahrenheit sie sehr vieles gelehrt hat. Erst durch den Abstand zu der nun schon fünf Jahre zurück liegenden Wanderung zeigt sich mir der Symbolwert unserer Unternehmung. Viele der folgenden aufgeschriebenen Erlebnisse und Gespräche, haben nicht unbedingt auf der tatsächlichen Wanderung stattgefunden. Dieses Buch ist auch geschrieben in Gedanken an den oder anderen Mitstreiter in der Vergangenheit, der auch vor hatte seine Gedanken über unsere gemeinsame Zeit in einem besonderen Leben auf einer besonderen Dienststelle zu Papier zu bringen, aber leider vorher die Erfahrung machen mussten, dass höhere Stellen vor lauter Angst die Skripte beschlagnahmen ließen. So wie wir auf der Wanderung einen Rucksack dabei hatten, so habe ich die Wanderung selbst als Rucksack für den Transport einer Geschichte innerhalb einer Geschichte benutzt.
Alle Gespräche und Ereignisse hätten so oder ähnlich stattfinden können, sind aber in ihrer Zusammen-stellung frei erfunden. Die Orte sind authentisch, jedoch sind die Grenzen der Fiktion frei zu bestimmen.

Geburtshelfer für das ursprüngliche Projekt „Wanderung durch die Pyrenäen“ waren einige Feierabendbiere in einer kleinen Berliner Kneipe, in der wir uns damals gerne nach dem Dienst trafen und Kalle. Wir, das waren die Mitglieder des Mobilen Einsatzkommando Berlin, eine der in Berlin vorhandenen Spezialeinheiten zur Terrorismus- und zur Bekämpfung der Schwerstkriminalität.

Eine Einheit die 1974 unter dem Eindruck der Aktivitäten der Roten Armeefraktion gegründet wurde. Zunächst erkannten die Sicherheitsbehörden, dass man zur Bekämpfung des Terrorismus spezialisierte Polizeieinheiten benötigen würde, die gegen schwer bewaffnete Terroristen bestehen könnten. Es hatte sich als unhaltbar erwiesen, dass Polizisten in Jogginghosen, Stahlhelmen und unzureichender Ausbildung versuchten den Geschehnissen im Olympia Dorf und auf dem Flughafen entgegen zu treten. Der Ausgang der Befreiungsaktion ist bekannt.
Neben der Tatsache, dass es sinnvoll erschien parallel zur GSG9 Zugriffseinheiten in den einzelnen Bundesländern zu erschaffen, zeigte sich, dass es notwendig war, spezialisierte Beamte einzusetzen, die dazu in der Lage waren, Terroristen bereits im Vorfeld einer Tat verdeckt zu beobachten. Später erweiterten sich die Aufgaben um die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und die Ermittlungen im Bereich der Schwerstkriminalität. 

In den 90ziger Jahren des letzten Jahrtausends, ein furchtbarer Ausdruck, lag der Schwerpunkt tatsächlich ausschließlich in der Beobachtung der Täter und der von ihnen gebildeten Organisationen. Die Frauen und Männer des Mobilen Einsatzkommandos sahen nach so ziemlich allem aus, aber nicht nach Polizei. Im Regelfall gaben sie ihre Zugehörigkeit nicht einmal ihren Familien und schon gar nicht gegenüber ihrem Freundeskreis zu. 
Einer, der quasi die ersten Stunden der Dienststelle in Berlin mitgemacht hatte, erzählte mir einmal von seinem ersten Tag in der Einheit. Er hatte sich beim Pförtner zum passenden Gebäude durchgefragt und sah sich dort ein wenig um. Nach kurzer Zeit ging er wieder zum Haupteingang zurück und fragte erneut nach dem Weg, da im ersten Haus, welches er seiner Auffassung nach fälschlicher Weise betreten hatte, eine Therapieeinrichtung für Drogenabhängige untergebracht wäre. Einer dieser „Drogenabhängigen“ holte ihn dann mitleidig am Haupteingang wieder ab, und erklärte ihm, dass er sehr wohl richtig gewesen wäre.
Der zunehmende Kampf um finanzielle Mittel innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und im Besonderen in den Bundesländern bedingte, dass auch das Mobile Einsatzkommando Berlin sich in der Notlage sah, seine Einsatzerfolge zu veröffentlichen, damit in den höheren desinformierten Hierarchien der Polizei finanzielle Zuwendungen gerechtfertigt werden konnten.
Im gleichen Zuge verschlechterte sich in den Jahren die Möglichkeit einer Beförderung in der Einheit. Junge Beamte, auf der Suche nach Bestätigung, den sie per Dienstgrad nicht mehr erhielten, gingen dazu über, sich durch ihre Zugehörigkeit bei einer Spezialeinheit zu definieren und dieses dann auch der Außenwelt mitzuteilen. 
Wer heute den Fernseher einschaltet, wird feststellen, dass nur noch von Experten, Spezialisten und Eliteeinheiten die Rede ist. Der erhebliche Image-verlust der Polizei in der Gesellschaft hat dafür gesorgt, dass sich kaum noch ein junger Beamter als ganz normaler ehrenwerter Polizist vorstellt. Es muss dann schon etwas Außergewöhnliches sein. Kopfschüttelnd musste ich sogar ein paar von den Jungens dabei beobachten, wie sie mit eigens angefertigten T – Shirts, auf denen sich das frei erfundene Logo der Dienststelle befand, in einer Kneipe am Tresen saßen. Das Unterstatement der alten Tage hatte sich erledigt.
Parallel hierzu beschloss die Polizeiführung , die ursprünglich vollkommen untypisch auftretenden Beamten auch in Situationen einzusetzen, für die die Dienststelle niemals erschaffen wurden: 
Der spezielle Zugriff auf besonders gefährliche Straftäter, ein Akt der zuvor ausschließlich dem SEK  vorbehalten war.
In Folge dieser Entscheidung veränderte sich auch das Auftreten der Mitglieder. Während vorher, der schlaksige Intellektuelle gefragt war, liefen plötzlich durchtrainierte junge Burschen mit Sonnenbrillen durch die Gänge.
Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit einem SEK Beamten, der mich schon Jahre persönlich kannte. Er selbst war für seine kompromisslose und manchmal auch brutale Vorgehensweise im Einsatz bekannt, frei nach dem alten einfachen höhst inoffiziellen Einsatzmotto: Kann man nicht essen, kann man nicht ficken ... kaputt machen.
„Was ist da passiert bei Euch? Die sehen ja alle gleich aus. Früher wart ihr coole Typen. Wenn ich in eine Kneipe gehe, gibt es nach einer Stunde Stress und ich zerlege den Laden. Du gehst hinein und nach fünf Stunden trinken alle Brüderschaft mit Dir, so muss das sein!“ 

...
 
Während Herman noch wütete, Käthe sich ins Zelt zurück gezogen hatte, vermisste ich Ute. Ich entdeckte ihn alleine auf einem Felsen im Bachbett des Bergbaches hinter unseren Zelten sitzend. Er starrte mit einem mehr als melancholischen Gesichtsausdruck in das sich
sprudelnd um die Steine windenden Wassers. Auch wenn wir uns nicht sonderlich gut kannten, beschloss ich, ihn dort so nicht alleine sitzen zu lassen. 
„Bilder?“ Fragte ich ihn, nach dem ich mich auf einen Felsen neben ihn gesetzt hatte. „Kennst Du das?“ Fragte er mich, ohne den Blick vom Wasser abzuwenden. „Nicht Deine Bilder, aber meine!“ Ute nickte. „Ja, wir haben alle unsere Bilder. Darf ich fragen, was Dein Bild ist?“ 
„Natürlich! Mein Bild ist ein englischer Offizier in einem Berliner Krankenhaus.

Ein Typ aus seiner Einheit war kurz zuvor am Kurfürsten Damm mit ein paar Jugendlichen in Streit geraten. Er saß dabei mit seiner deutschen Freundin auf dem Gitter des U Bahnhofs Zoologischer Garten. Sie hatten ihn herunter gestoßen, auf der Treppe hatte er sich das Genick gebrochen. Die Mauer stand noch, ich war so um die zweiundzwanzig Jahre alt. Da sagt dieser Offizier zu mir: I fought with this man together in Falkland. And now he has been killed by a couple of children. Just like that without a reason. It's all so pointless. 

Ich werde sein Gesicht nie vergessen und dieses Gesicht sehe ich gerade bei Dir auch. Ich kenne dieses Gesicht.“
Ute antworte mir nicht, jedoch hatte ich auch keine Reaktion erwartet. „Weißt Du Ute, es gibt ein Buch, dass habe ich mir zur Religion gemacht. Hermann Hesse und der Siddharta. Da gibt es eine Stelle, da sagt der eine zum anderen, höre dem Fluss zu, er wird Dir antworten. Das ist hier nur ein Bach … ein kleiner Pissbach in den Pyrenäen, aber vielleicht erzählt er Dir ja was!“ Kameradschaftlich klopfte ich ihm auf die Schulter. Ich wusste, dass es besser war ihn einfach alleine zu lassen. Irgendetwas war passiert, was mich nichts anging. 


...



Was bedeuteten eigentlich unsere Erzählungen tatsächlich? Damals hätte ich auf diese Frage keine Antwort gehabt oder zumindest keine die befriedigend gewesen wäre. Nunmehr kann ich an dieser Stelle sagen, dass wir längst alle Schranken durchbrochen hatten. Wir waren in unseren Köpfen Judikative, Legislative und Exekutive in einer Person. Wir sahen doch da draußen jeden Tag, wohin diese vermeintlich offensichtliche Unfähigkeit der Gesellschaft führte. Unsere Welt war einfach aufgeteilt.


 Da waren wir, die den Durchblick hatten, die die Menschen kannten. Dann die Menschen, die wir zu beschützen hatten, weil sie es selbst nicht konnten. Ein undankbarer Haufen von Individuen, die sich immer beschwerten, wenn es gegen sie selbst ging, aber anfingen nach uns zu schreien, wenn sie in Bedrängnis gerieten. Und dann gab es natürlich die Bösen, unsere Feinde, die es galt jeden Tag zu bekämpfen. Und Kampf war wörtlich zu nehmen. Dies fiel mir das erste Mal richtig auf, als ein Kollege vom SEK durch einen Mitglied einer Arabischen Großfamilie erschossen wurde. Nach seinem Tod kam es zu einem Trauermarsch durch den Berliner Problembezirk Neukölln. 
Am Straßenrand hatten sich auch einige Mitglieder der Arabischen Clans versammelt. Eines der Mitglieder rief uns zu: „Ihr seid die nächsten, die wir uns holen!“ Es lief mir kalt den Rücken herunter, denn das war Krieg! 
Diese schematische Aufteilung legt keiner wie eine Jacke nach dem Einsatz ab. Sie wirkt bis tief in das Privatleben hinein. In meiner damaligen Vorstellung, wussten die „Normalen“ gar nicht, was da draußen vor sich ging. Darauf basierte letztlich auch unsere Kameradschaft, denn wir waren ja aus dem gleichen Stall; Wir waren die Wissenden!

Heute ist das in vielen Einheiten nicht anders. Was erzählt man einer jungen Frau, die bei einer Demonstration eingesetzt wird und in hassverzerrte Gesichter schaut. Die wenige Minuten später mit Steinplatten, Molotowcocktails und Eisenstangen beworfen wird. Was soll sie ihren Freundinnen über die flackernd durch brennende Autos beleuchtete Strasse, den gellenden Pfiffen und Schreien der Randalierer, die Explosionsgeräusche, die Befehle der Zugführer, den heran nahenden Sirenen, das stets rhythmisch blitzende Blaulicht, dass Stöhnen verletzter Kollegen und vor allem über ihre Angst erzählen? Was soll sie über ihre Gedanken sagen, die ihr kommen, wenn dann ein Politiker sagt, dass sie mit ihrer Anwesenheit erst die Gewalt produziert hat.

Heute noch, oder vielleicht gerade, vor dem Hintergrund der gerade stattfindenden Ereignisse in unseren Nachbarländern Frankreich und Belgien, frage ich mich was denn da eigentlich in Köpfen vieler Menschen vor geht. Da wird von dem Versagen der Geheimdienste und der Polizei gesprochen. Man hätte doch erkennen müssen, dass die etwas vor hatten. Warum wurde die Bevölkerung nicht geschützt? Natürlich wusste man, dass die Attentäter sich in radikalen Kreisen bewegten. Aber dieses ist nun einmal keine Straftat. Und neben den Attentätern, gibt es diverse weitere Radikale, wandelnde Zeitbomben, doch wer will sie vierundzwanzig Stunden lang beobachten? Wer will und kann entscheiden, dass der Radikale, welcher gerade seine Wohnung verlassen hat, heute in seiner Sporttasche keine Sportsachen hat, sondern eine Kalischnikow? Was erwartet eine Gesellschaft, in der man sich schon durch die Staatsmacht bedroht fühlt, wenn der Polizist in der Verkehrskontrolle eine Maschinenpistole trägt? Was erwartet eine Gesellschaft, in der nicht erkannt wird, dass ausgerechnet die Hinweise der bösen ausländischen Nachrichtendienste mehrfach schlimmeres verhindert haben. 

Eine Gesellschaft die sich auf die einfache Formel reduziert: Wasch mich, aber mach mich nicht nass dabei!

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